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Folie 3

„Asimina im Wohnheim – Tänzchen

Ausländer

Deutschland brauchte Arbeitskräfte, darum holte man sie ins Land.
Mit Lust und Fleiß arbeiteten sie
gemeinsam Hand in Hand.
Nur ist sie vorbei die Blütezeit,
jetzt kommt die Arbeitslosigkeit.
Was machen wir mit all den Menschen,
die uns bis jetzt geholfen haben?
Sollen sie fort, sollen sie bleiben?
Wir können sie einfach nicht vertreiben.


Wir müssen eine Lösung finden,
die gerecht und menschlich ist,
denn der Fremde, der hier lebt,
Mensch ist,
so wie du es bist.
Asimina Paradissa, Auszug aus ihrem neuen Erzählband »Jenseits der Grenzen«
Asimina Paradissa arbeitete ab Juli 1966 als Gastarbeiterin im Olympia Werk Roffhausen – ihre erste Station als Gastarbeiterin in Deutschland.

Asimina Paradissa, die nach Roffhausen in das Olympia Werk ging, um schnell Geld als Fließbandarbeiterin zu verdienen, war harte Arbeit auch auf den Feldern ihrer Eltern gewohnt. Die ganze Familie half in der Landwirtschaft mit, notfalls wurde man auch aus der Schule geholt, wenn die Erntezeit anbrach. Asimina hörte in den 1960ern von der Arbeit im Steinbruch in der Nähe ihres Dorfes. Sie meldete sich sofort, um dort einige Drachmen dazuzuverdienen. So schuftete sie als 18jährige in den heißen Sommermonaten und schleppte Tag für Tag bei sengender Hitze schwere Körbe voll mit Steinen aus dem Steinbruch.

Asimina Paradissa war noch nicht volljährig, als sie sich von der Halbinsel Chalkidiki aus dem Heimatort Vrasta mit ihrem Bruder auf den weiten Weg in das gelobte Land machte. Sie wusste damals noch nicht, dass sie nicht mehr in die Heimat zurückkehren würde. Sie wollte nur kurz in der Bundesrepublik bleiben, Geld verdienen und dann wieder zu ihrer Familie nach Vrasta heimkehren. Sie blieb und lebt bis heute in Deutschland.

Deutschland – ein Einwanderungsland

Deutschland war schon lange vor der offiziellen Anwerbepolitik ab 1955 ein Einwanderungsland. Wanderungen, Grenzüberschreitungen, Auswanderungen hatte es immer in der Geschichte gegeben. Der niedersächsische Raum entwickelte sich bereits vor dem Ersten Weltkrieg zu einer Zuwanderungsregion für ausländische Arbeitskräfte  bundesweit belief sich deren Gesamtzahl im Jahr 1913 auf 1,2 Millionen. Diese Zahl stieg nach den beiden Weltkriegen weiter an: So verzeichnete man 1918 rund 3 Millionen ausländische (Zwangs-)Arbeitskräfte, wobei die Zwangsarbeit vorwiegend Menschen aus Osteuropa betraf. In der Zeit des Nationalsozialismus wurden Zwangsarbeiter*innen im besetzten Europa rekrutiert. So hielten sich im Jahr 1944 rund 8 Millionen ausländische Arbeitskräfte und damit ein Drittel aller Beschäftigten im Reich auf. Dementsprechend war der deutschen Bevölkerung nach der Gründung des Bundeslandes Niedersachsen im Jahr 1946 die Zwangsarbeit von Millionen ausländischen „Arbeitskräften“ in der nationalsozialistischen Kriegswirtschaft noch gut in Erinnerung.

„Tausende von Lagern und Zehntausende von Arbeitsstellen in Industrie, Gewerbe und Landwirtschaft waren über das ganze Land verteilt. Der tägliche Kontakt zu Kriegsgefangenen und ausländischen Zwangsarbeitskräften bei der Arbeit und auch innerhalb von Familien gehörte in beiden Weltkriegen zum Alltag von Hunderttausenden in Niedersachsen. Der Krieg der Nationen führte mithin auch in Deutschland selbst zu einer bislang nie dagewesenen Begegnung mit Menschen anderer Nationalität.“
Klaus J. Bade/Jochen Oltmer

„Fremdarbeiter“, „Zwangsarbeiter“ aus der nationalsozialistischen Kriegswirtschaft sowie Flüchtlinge und Vertriebene trafen ab Mitte der 1950er Jahre auf erste angeworbene Arbeitskräfte aus Südeuropa, die in der Bundesrepublik ankamen.
Niedersachsen als vorwiegend agrarische Region verzeichnete große Abwanderungswellen in städtischere Räume, besonders nach Nordrhein-Westfalen, wegen der dort stärker ausgeprägten industriellen Strukturen.

Auch in Griechenland lagen die nationalsozialistischen Schrecken und Gräuel des Zweiten Weltkriegs noch nicht lange zurück, als sich im Zuge des großen Exodus vom Land in größere griechische Städte eine Arbeitsabwanderung abzeichnete, die bald auch über die Landesgrenzen hinausging. Die prekären Lebensbedingungen in der Mitte des 20. Jahrhunderts, die Arbeits- und die Perspektivlosigkeit führten dazu, dass sich nun erwerbsfähige Frauen und Männer, die meist aus ländlichen, agrarischen Gegenden Nordgriechenlands stammten, vorwiegend als ungelernte (Fabrik-)Hilfskräfte einstellen ließen. Der im Jahr 1960 ratifizierte „Beschäftigungsvertrag der Griechen in Deutschland“ begründete diese neue Arbeitsbeziehung der ehemaligen deutschen Besatzer, die nun ebenso willige wie billige Arbeitskräfte nach Deutschland – in das Land der ehemaligen Besatzer Griechenlands  anwarben.

Schätzungsweise eine Million Menschen und damit fast jeder zehnte Grieche beziehungsweise jede zehnte Griechin trat so im Laufe der Anwerbezeit die Reise in ein unbekanntes, fremdes Land an, um eine Tätigkeit als Hilfsarbeiter*in in der deutschen Industrie, in deutschen Bergwerken oder im deutschen Dienstleistungssektor aufzunehmen. Davon stammten nur 7 % aus Städten, während die deutlich überwiegende Mehrheit (etwa 85 %) aus Kleinstädten und Dörfern kam.

Die Anwerbung ausländischer Arbeitskräfte

Ab der Mitte der 1950er Jahre begann die Nachfrage nach Arbeitskräften aufgrund des Wirtschaftsaufschwungs in Deutschland zu steigen. Diese Entwicklung dauerte an, sodass der Arbeitsmarkt nur wenige Jahre später ganz leergefegt war: Zwischen 1961 und 1963 verzeichnete die Arbeitsagentur im Jahresdurchschnitt über 550 000 unbesetzte Stellen, und das mit steigender Tendenz. Um die Mitte des Jahres 1964 erreichte die Zahl der (gemeldeten) offenen Stellen einen Höchststand von fast 700 000. Gastarbeiterin in der Produktion © Stadtarchiv Wilhelmshaven/Sammlung Arbeiterarchiv – Dr. Hartmut Büsing

Vor diesem Hintergrund hatten deutsche Arbeitgeber bereits ab 1955 begonnen, ausländische Arbeitskräfte anzuwerben. Auch die Olympia Werke begannen ab 1963 in Zusammenarbeit mit der damaligen „Bundesanstalt für Arbeit“ gezielt, Arbeiter*innen aus dem südeuropäischen Ausland anzufordern. Die ersten ausländischen Arbeitskräfte in Roffhausen waren nach Mitteilung von Erich Maaß, Personalabteilungsleiter und späterer Hauptabteilungsleiter für betriebliche Sozialpolitik, „eine Handvoll Spanier – die vielen Griechen kamen kurze Zeit später“ .

Da auch bei Olympia die Nachfrage nach Arbeitskräften weiter stieg, sich das Prozedere der Anwerbung aufgrund der etwas bürokratischen Vermittlung durch die eingeschalteten Arbeitsämter jedoch hinzog und man dabei zudem mit anderen europäischen Unternehmen in Konkurrenz stand, wurden, nach Aussage von Erich Maaß, Anfang der 1960er Jahre – organisiert über die eigene Sozial- und Personalabteilung – eigene Kollegen nach Spanien und bald auch nach Griechenland zur Rekrutierung für Olympia entsandt.

So trafen binnen kurzer Zeit vermehrt ausländische Arbeitnehmer*innen auf den inländischen Arbeitsmarkt – dieser Prozess des Arbeitstransfers wurde von den Gewerkschaften anfangs mit großer Sorge beobachtet. Sie befürchteten nämlich Lohndumping, die Verschlechterung der sozialen und arbeitsrechtlichen Errungenschaften sowie eine Konkurrenz seitens der anfangs zeitlich befristeten und flexiblen Arbeitskräfte aus dem Ausland.

Um kein tarifliches Gefälle zwischen den einheimischen und den ausländischen Arbeitskräften aufkommen zu lassen, vereinbarten die Gewerkschaften, zum Beispiel die IG Metall, gleich in der Anfangsphase der Arbeitsmigration für die ausländischen Arbeitskräfte geregelte, verbindliche Tarifvereinbarungen, etwa zum Arbeits- und Kündigungsschutz, zum Jugendarbeits- und Mutterschutz, auch zum Lohnpfändungsschutz. Und auch laut Anwerbeabkommen waren ausländische Arbeitskräfte den deutschen Arbeitnehmer*innen sozial- und arbeitsrechtlich gleichgestellt. Dies garantierte auch Ungelernten, vor allem in der Industrie, die Eingruppierung in feste Gehaltsstufen – der gleiche Schutz galt auch für weibliche Arbeitsmigrantinnen. Diese Gleichstellung wurde insbesondere auch bei den Olympia Werken angewandt, die zudem einen eigenen, speziellen (übertariflichen) „Olympia-Tarif“ vorweisen konnten.
Bis zum Anwerbestopp im Jahr 1973 wurden über die Deutsche Kommission in Griechenland bis zu 382 000 Arbeitsverhältnisse vermittelt. Das Jahr 1970 war Spitzenreiter mit allein 50 000 vermittelten Stellen. Besonders der Arbeitskräftetransfer über die deutschen Verbindungsstellen der Arbeitsagentur in Griechenland stieg in den 1960er Jahren um bis zu 70 % an. Der Transfer über die Vermittlungsstellen im Ausland war wichtig für die Arbeitsmigrant*innen, da sie dort nicht nur die erforderlichen Gesundheitschecks durchliefen, sondern, nach erfolgreicher Vermittlung, auch die nötigen Ausreisepapiere in Form von Legitimationskarten für die Arbeitsaufnahme im Aufnahmeland ausgestellt bekamen.

Endlich „angekommen“

1973 verfügten die meisten griechischen Arbeitskräfte auch bei Olympia über eine unbefristete Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis – die Gastarbeiter*innen von einst waren nun nach ihrem befristeten Gaststatus endlich auch formal als „ausländische Arbeitnehmer*innen“ in der Bundesrepublik angekommen. Auch in ihrer Region in Friesland begannen sie sich einzuleben und gesellschaftlich zu etablieren – über Arbeit, Kultur, Soziales. Als gut eingearbeitete, flexible Arbeitskräfte waren sie in der Produktion unentbehrlich geworden. Allerdings dauerte es gerade im beruflichen Kontext mehr als zehn Jahre, bis ab den 1970er Jahren nicht mehr von „Gastarbeitern“, sondern, insbesondere seitens der Gewerkschaften, von „ausländischen Mitarbeitern“ gesprochen wurde.
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